2016/03/15

Ein weiterer Brief

Mein liebes Kind,

du bist so unglaublich groß geworden. Gerade gestern wurdest du erst auf diese Welt geholt und nun? Nun buchstabierst du, rechnest, willst so unbedingt das Lesen lernen und verblüffst mich mit deiner Auffassungsgabe immer wieder neu. Du bist mein erstes Kind und ich habe keinerlei Vergleich. Doch den brauche ich auch nicht. Du bist perfekt so wie du bist. Seit Monaten wälze ich deswegen die immer gleiche Frage hin und her. Einschlung ja? Nein? Und bleibe permanent am "vielleicht" hängen. Ich bin so unsagbar verunsichert. Ich möchte nichts falsch machen. Ich möchte das Beste für dich. Aber du bist eben mein erstes Kind und ich kann nicht in die Zukunft blicken. Ich habe keine Ahnung, welche Entscheidung die richtige wäre. Ein weiteres Jahr im Kindergarten. Kindsein wie es sich gehört? So liebend gerne! Das neue Jahr mit einem neuen Lebensabschnitt beginnen? Deinem Wissensdurst gerecht werden? Tausendmal Ja!

Seit ich die Bestätigung für dein wachsendes Leben hatte, macht mir das Schulthema Angst. Und ich kann in keinster Weise nachvollziehen warum. Ich selbst bin immer gerne zur Schule gegangen. Ich war immer die Kleinste, egal wie alt ich war. Ich war immer die Neue. Aber ich war immer gerne in der Schule. Ich habe es geliebt, lernen zu dürfen. Neues zu erfahren, neues zu entdecken. Ich habe es geliebt, morgens alleine zur Schule zu laufen, am Kaugummiautomaten vorbei, niemals ohne einen prüfenden Blick in das Auswurffach zu werfen, ob nicht vielleicht doch einer einfach so durchgerutscht ist. Ich hatte Spaß die Bauarbeiter am Morgen zu grüßen und diese eine Oma. Jeden Morgen. Für das gesamte erste Schuljahr. Ich habe es geliebt in die Bücherrei zu können. Bücher durchblättern zu dürfen, Hefte mit Worten füllen zu können. Ich habe es geliebt, Kreide an meinen Fingern zu spüren, meine eigene kleine Schieferntafel zu haben und mit meinem Setzkasten Wörter zu bilden. Ich habe es genossen, jeden Tag meinen Schulranzen für den nächsten Tag vorzubereiten. JEDEN Tag. Die Wochenenden waren da manchmal sehr hinderlich. Ich konnte nie aufhören zu fragen. Bis meine Mama ein Abo für eine Kinderlexikonreihe abschloss. Und ich so vieles hundertfach nachlesen konnte.
Es hat mich nie gestört, immer die Neue zu sein. Meine Mama zog mit meinen Geschwistern und mir so oft um, dass ich es als Kind nicht gezählt habe. Ich habe in der Grundschulzeit 2 mal die Schule gewechselt. In der Hauptschulzeit ebenfalls, bevor ich in der 6. Klasse in eine von Nonnen geführte Schule ging. Ab da waren die Umzüge nicht mehr relevant. Bis zur 10. Klasse hatte ich eine absolute Konstante, auch wenn wir bis dahin weitere 3 mal umzogen. JDas ich bis zur 12. Klasse den Wohnort gleich 3 mal wechselte fiel letztendlich gar nicht mehr ins Gewicht. Doch hat es mich ehrlich nie gestört.
Meine Schulzeit ist mit durchweg positiven Erinnerungen verknüpft. Deswegen verstehe ich wirklich nicht, warum ich schon so lange Angst vor deiner eigenen Schulzeit habe.

Du bist ein aufgeweckter Lausbub. Ein Aufpasser. Ein Ansager. Du weißt genau was du willst. Und du setzt es durch. Du bist mutig. Sehr sogar. Du bist so präsent. Und du bist nicht auf den Mund gefallen. Oder den Kopf. Es gibt keinen plausiblen Grund, dir den Schuleintritt zu verweigern.  Nichtdesto trotz zermarter ich mir das Hirn. Wenn diese eine Entscheidung nicht die richtige, nicht die beste für dich ist, dann habe ich das zu tragen.
Lasse ich dir ein weiteres Kindergartenjahr, könntest du mir das auf ewig krumm nehmen. Dass ich dich klein gehalten hätte. Das ich nicht an dich geglaubt hätte. Lasse ich dich zur Schule gehen, dann könntest du mir dieses ebenso vorwerfen. Zum Beispiel, dass du immer der Jüngste seist. Oder ich dich  damit überfordert hätte.  Hätte, hätte, Fahrradkette. Es ist zum verrückt werden.

Nun lasse ich den kommenden Informationsabend zum Schulbeginn auf mich wirken und warte mit dir das entgültige Schulscreening ab. Vielleicht nimmt mir ja jemand, in diesem Fall die Schule, die Entscheidung ab. Unterm Strich wird sie es. Das Ergebnis des Screenings wird der Stempel für den Entschluss.

Ich hoffe, ich begleite dich im richtigen Tempo. Ich hoffe, ich werde es stets bemerken, in welche Richtung du möchtest.

Du bist perfekt, genau so wie du bist! Und meine Zweifel haben am Ende in keinster Weise etwas mit dir zu tun. Sondern mit meiner eigenen Unsicherheit, dir nicht gerecht werden zu können.

Ich liebe den Weg, den ich mit dir gehe. Ich hoffe, du wirst ihn genauso lieben.

Deine Mama

2 Kommentare:

  1. Wunderschön geschrieben... Eine tolle Mama hat Dein Sohn. Egal, wie die Entscheidung ausfällt...

    Von Herzen liebe Grüße
    Anja

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