2015/06/13

Stolpersteine

Als ich in den letzten Tagen mit dem großen Wuselzwerg in Richtung Innenstadt lief, entdeckte er etwas. Etwas das schon immer da war, für ihn aber nie eine Relevanz hatte. Wir stolperten quasi über Stolpersteine. Kennt die jemand? Die glänzenden Steine auf den Gehwegen in deutschen Städten. Geschichte, über die man stolpert. Die man nicht leugnen kann. Erinnerung und Mahnmal an ein Kapitel deutscher Geschichte, dass so bitte niemals mehr geschrieben werden darf.

Mein großer Wuselzwerg entdeckte also vor einigen Tagen ganz bewusst einen Stolperstein und fragte natürlich sofort: "Mama, was ist das? Warum ist das so glänzend? Ist das echtes Gold?" Und ich erklärte ihm, dass es eine Erinnerung an die Menschen ist, die hier lebten, in dieser Straße, in dieser Wohnung, und die dann starben. Die nächste Frage kam nicht überraschend. "Warum sind die Menschen gestorben? Was steht denn da drauf? Mama liest du mir das vor?" Und ich las:

HIER WOHNTE:
SALLY WALTER
 JG 1940
DEPORTIERT 1942
IZBICA
ERMORDET GESTORBEN



 Und ich laß den zweiten, den dritten, den vierten... wir haben viele Stolpersteine auf dem Weg in die Innenstadt. Nach einer Weile fragte mein großer Wuselzwerg. "Mama? Sind das die ersten guten Menschen die gestorben sind?" Und ich schluckte. Und schaute meinen 4 jährigen Sohn nachdenklich an. "Nicht die ersten, aber leider auch nicht die letzten." Murmelte ich eher als das ich ihm antwortete. Und natürlich folgte die Frage: "Warum sind die Menschen gestorben?" Die Antwort hatte ich mir bereits seit der ersten Frage nach den glänzenden Steinen zurechtgelegt. "Es gab vor vielen vielen Jahren eine Zeit, da gab es auch hier Krieg und es gab Menschen die entschieden, wer hier wohnen durfte und welche Menschen nicht hier in dieser Stadt bleiben durften. Dumme Menschen, die das bestimmten. Im Krieg sterben Menschen. Das ist leider überall so. Damit aber nicht vergessen wird, wie dumm diese Menschen von damals waren, gibt es die Steine. Damit die, die gestorben sind, nicht vergessen werden. Wie Erinnerungsfotos." Pädagogisch sicher nicht wertvoll, aber besser konnte ich es aus der Situation heraus nicht erklären. Mein Wuselzwerg schaute nachdenklich zur Straße. Jeden folgenden Stolperstein musste ich vorlesen. Zwischendurch kam die Frage: "Mama? Warum gibt es Krieg?" Und auch mit der Frage hatte ich gerechnet. "Weil sich die Erwachsenen ganz oft nicht einig werden können und dann streiten. Nur das diese Erwachsenen echte Waffen haben und sich nicht mit Papierkugeln oder Kissen und Kuscheltieren bewerfen. Und das so ein Streit nicht nur zwei Erwachsene betrifft sondern dass dann ganze Städte und Länder streiten. Dumm oder? Nur weil sich zwei nicht einig werden so zu streiten, dass alle mitstreiten müssen!" (Ja ich weiß, auch hier nicht sonderlich pädagogisch wertvoll) Mein großer Wuselzwerg runzelte die Stirn und sagte, so wie es eben nur Kinder unbefangen sagen können: "Wenn ich streite, stirbt keiner. Das wäre ja echt doof! Dann müsste ich ja alleine spielen!" Ganz genau mein Großer.

Das Thema zieht sich nun schon durch die ganze Woche. Wir kommen selbstverständlich an keinem Stolperstein mehr vorbei, ohne kurz innezuhalten und zu lesen. Und ja, ich bin froh, dass ich es lesen darf/muss. Würde er selbst schon lesen können, hätte ich ernsthafte Erklärungsnot. Ermordet steht auf fast jedem Stein. Und wie detailliert der Krieg von statten ging, ich glaube, das ist noch nichts für einen 4 jährigen. Ich hoffe ich wachse in dieses Thema, so wie die Fragen des großen Wuselzwerges. Ich halte Ausschau nach kindgerechten Büchern zu diesem Thema. Allerdings ist kindgerecht erst ab Schulalter zu finden. Schwieriges Thema. Aber so wichtig. Sätze wie "Dafür bist du  noch zu klein um das zu verstehen." werde ich nicht sagen. Diese Sätze habe ich so gehasst! Mir die zeitgeschichte auf das Alter meiner Zwerge zurechtzustutzen ist dann wohl erstmal mein Vergnügen der nächsten Tage. Für Anregungen und Tipps bin ich ganz offen!

Zu den Stolpersteinen allgemein gibt es einiges Wissenwertes. Die Idee dazu wurde 1993 von dem Kölner Künstler Gunter Demnig geboren und die Verlegung der ersten Steine, 3 Jahre später, erfolgte tatsächlich illegal (Berlin und Köln). 1997 wurde der erste legale Stolperstein in Österreich verlegt. Erst 2000 wurde das Projekt fortgesetzt. Seit 2004 werden sie in Bamberg verlegt.  Ich erinnere mich noch ganz genau an meinen ersten Stolperstein, den ich wahrgenommen habe. Willy Lessing Straße 8.
Heute sind es 98 Steine, die in Bambergs Straßen daran erinnern, dass es nicht sein kann, nichts von alledem gewusst zu habe.

Insgesamt kann man heute von 350 000 Stolpersteinen an 750 verschiedenen Orten in 10 verschiedenen Ländern sprechen.

(Quelle: http://www.stolpersteine-bamberg.de/ )

Mich fasziniert dieses Projekt seit meines ersten Stolpersteines, den ich gesehen habe. Es ist eine so wunderbare Idee, den Menschen, die solches Leid erfahren haben, die letzte Ehre zu erweisen.

Sie nicht zu vergessen. Das ist das Mindeste.

Minensie

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