2015/06/15

Liebe Neurodermitis - Brief I

Ich habe lange überlegt, wie ich das hier beginnen soll. Ich wollte dich beschimpfen, dich verfluchen. Ich wollte dir sagen wie sehr ich deine Anwesenheit hasse. Und dennoch. Am Ende muss ich dankbar sein. Damit ich dich und deine Anfänge niemals vergesse, schreibe ich dir nun einen Brief. Oder mehrere. Ich weiß es noch nicht genau. Briefe helfen mir am besten, mich auszudrücken. Nun denn.



Liebe Gehasste Neurodermitis!



Du stolpertest vor ziemlich genau 4 1/4 Jahren in unser Leben. Unangekündigt. Dafür um so aufdringlicher. Als du dich bei meinem 10 Wochen alten, absolut perfektem, ersten Baby wohl fühltest, habe ich dich verleugnet. Niemand hatte zuvor mit dir Kontakt. Niemand kannte dich. So jemanden lässt man nicht einfach ins Haus. Aber wir hatten dir wohl die Tür einen Spalt breit geöffnet.
Ob der Piecks nach der STIKO nun der Willkommensgruß war oder nur das Schlupfloch, dass können wir auf ewig nur spekulieren. In jedem Fall machtest du es dir offensichtlich bequem. Um dir kein "Futter" zu bieten, war ich bereit auf vieles zu verzichten.

 Der kleine Anfang


Erst Milch und Milchprodukte, dann gänzlich ohne tierische Eiweiße. Ohne Erfolg. Es gefiel dir so sehr bei meinem Baby, dass du ihn  bald in Kopfverbände zwangst, um seine offenen Wunden zu schützen. Ich wechselte so oft von Fassungslosigkeit in schiere Wut über  mich, Ärzte und allerhand verschwörerischen Komplotten, das ich kaum noch wusste, ob es irgend ein Richtig oder nur noch ein Falsch gab. Dennoch entschieden wir uns, der Herr von und zu Wuselzwergenpapa und ich, gegen die harte Tour dich loszuwerden. Aus Angst, du könntest dich in deiner Panik an viel unzugänglicheren Orten wie zum Beispiel der Lunge festkrallen.
Du verwandeltest mein Baby in einen Sonnenschein mit tiefen Wunden. Aber er blieb mein Sonnenschein. Immer. Egal wie oft er einen Verband bekam oder welche geschmacklich wirklich widerwärtigen Nahrungsmittel er aufgeschwatzt bekam - er lachte immer. Für uns der Hinweis, dass du zwar eine verfluchte Plage warst und bist, aber wir dich auch über kurz oder lang ziemlich penetrant aus unserem leben ekeln können. Zuckerperlen a la Globuli, Schüssler Salze und unendlich viel Schmierwerk sollten dir das heimische austreiben. Der Sommer kam und ich hatte große Angst vor kurzärmligen Bodies und keinen Jacken, in die ich mein Baby "pucken" konnte, damit es sich bei Spaziergängen nicht blutig kratzte. Und der deutsche Sommer 2011 war auf meiner Seite. Es gab wenig Tage an denen kurze Kleidung notwendig war.
Aber dann wolltest du mich prüfen. Wie ich mit dem Kommenden umgehen würde. Mit einer winzigen entzündeten Stelle zeigtest du mir, was du wirklich drauf hast. Dein Vergnügen, unser Leid: Der Superinfekt.

Tag 5 in der Klinik. Alles schon wieder gut - zum Glück


Es war ziemlich hinterhältig von dir, dass musst du schon zugeben. Ich muss dir das in aller Deutlichkeit sagen! Das ich nach 2 Tagen oraler Antibiose mit meinem kleinen Baby mit über 40 ° Grad Fieber und einer derart eitrigen und blutigen Wange in die Kinderklinik musste, war wirklich mies. 3 Kinderärzte bestaunten dein Werk. Der Chefarztes der Kinderklinik und ich waren uns einig - wäre der Patient nicht gerade mal 7 Monate alt - es sähe klar nach Gürtelrose aus. Nur im Gesicht. Dazu hatte es aber eine Vorinfektion geben müssen. Und die gab es nicht. DAS hätten wir bemerkt. Du Luder! Und da die Ärzte nicht wussten was nun der Auslöser war - wir kannten dich zu dem Zeitpunkt eben noch nicht sehr gut - gab es für das immer fröhliche Baby Antibiose und Virustatika. Intravenös. Die Nadel im Kopf. Mein Herz bekam einen mächtigen Riss.



So tapfer der kleine Mann war, so nervig und anhänglich warst du. 3 Tage blieb das hohe Fieber.
Egal wie viele fiebersenkende Mittel es im Wechsel gab. Dafür schlug die Antibiose oder das Virustatika sofort an. Was genau, wissen wir bis heute nicht. So schnell sich der Superinfekt über Gesicht und Oberkörper ausbreitete, so abrupt stoppte es. Du hattest richtig gute Arbeit geleistet. Die Ärzte konnten nicht glauben, dass dieser Bub tatsächlich noch nie zuvor ernsthaft krank war. Sein Blutbild war verwirrend. Die Immunwerte passten nicht zum bisherigen Krankheitsverlauf. Jedoch blieb das voerst nebensächlich.
Am 4. Tag sank das Fieber etwas. Am 5. Tag verabschiedete es sich. Mein Baby war wieder gänzlich der Sonnenschein, nur langweilte er sich ab Tag 6 doch sehr. Und weil es so gut um sein Immunsystem stand, lutschte er bei jeder sich bietenden Möglichkeit die Gitterstäbe des Krankenbettes ab.

Beste Zahnungshilfe überhaupt! Nur nicht wünschenswert, dass man sie in Gebrauch nehmen muss

Nach 10 Tagen endete die Medikation, die Nadel wurde gezogen und wir durften wieder heim. Mit bester Empfehlung der Chefärzte, den in wenigen Wochen geplanten Urlaub in Kuba zu genießen und dir den Rücken zu zukehren. Der Kinderarzt war anderer Meinung und betonte, dass er so eine Empfehlung nicht aussprechen könne. Ein Kind, gerade so mit abgeheilten Superinfekt 11 Stunden in einen Flieger zu setzten und 4 Wochen in einer völlig fremden Umgebung zu leben. Wir zweifelten und lernten dann doch erstmals - auf das Bauchgefühl von Eltern ist verlass. Wir trauten dir nicht zu, dich in einem solchen Klima zu zeigen. Und wir sollten recht behalten. 

 Erinnerung an unseren Kurzaufenthalt in Einzelhaft im Einzelzimmer



Wir lesen uns 10 000 km von zu Hause entfernt wieder.






Erschöpft.



Minensie

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mitgedacht